sub/s/tanzen. Foto: Sabina Holzer, 2017
- „Ich habe von der Grube geträumt", murmelte ich. Ich wiegte im Rhythmus des Pferde. Ich hörte die Frau,
und ihre Simme beruhigte mich. Sie war bei mir und ich hatte keine Angst.
Ich habe von der Grube geträumt, sagte ich. Ich erinnere mich, das gesagt zu haben.
Ich habe es schon oft gesagt. Ich sage es wieder und wieder: Ich habe von der Grube geträumt.
Obwohl ich mich nicht genau an den Traum erinnere, besitzen alle meine Erinnerungen vor und nach diesem Augenblick – für immer danach, könnte man sagen – eine Notwendigkeit und Hitze, die nur aus dieser weiß-hellen, schäumenden, alles zersetzenden Grube stammen können. Dieser Grube aus Gebeinen. Aus diesem eingezäunten Stück Land, das ich nicht besuchen durfte und doch immer wieder aufsuchen musste.
Ich habe immer angenommen, dass es diese Erinnerungen sind, die in Augenblicken der Selbstversunkenheit diese verschlingende Leere aufsteigen lassen. Deshalb nehme ich an, dass die Erinnerungen wahr sind, selbst wenn es nicht klar ist, wer sie erlebt hat.
Andererseits träume ich auch von einem anderen Land, in dem das Zusammenkommen der Menschen eine Stadt entstehen lässt. Ein anderer Ort, ein anderes Wort, eine andere Schicht der Geschichte, als diese, immer wiederholte, von diesem eingezäunten Land der Ausrangierten. Die Gewissheit, dass eine andere Erzählung möglich ist. Diese Zäune nicht nötig. Andere ja, aber nicht diese. Nicht so. Eine gewisse Gewissheit. Wissen und Gewissen. Vielleicht nur, um selbst Vergebung zu finden. Vergebung zu geben. Eine Gabe. Zu geben.
Ich bin mir sicher, dass ich diese Stadt immer wieder aufsuche, wenn ich Blumen an die Wand zeichne, auf den Boden Markierungen male, auf Papier krixel und aus den Linien und Kurven eine andere Sprache erscheint. Diese eigenartige helle Kalkstadt erscheint, mit ihren Variationen und Spuren, ihren schattigen Häusern, die sich wie Tintenkleckse entlang der Linien ausbreiten. All die Menschen mit ihren verschiedenen Gewerben, ihren Gärten, deren Grenzen sich ausweiten. Bis zu jenem Land, dass ich letztlich aufsuchen werde, um jene zu zählen, die meine verstreuten Landsleute, meine Aufgabe, sind. Ihre Außenbezirke, ihre äußersten Ränder aufsuchend, einem gewissen Vorsatz folgend, nach der Botschaft suchend, die für mich hinterlassen wurde. Dort wo ich zähle.
Und es gibt so viel zu schreiben, eine Diaspora, die ich zu begreifen suche. Die Nachwirkungen von Krieg und Kommerz. Alles durch zu zählen, zu rechnen. An all den Orten die es gibt mit ihren eingezäunte Feldern, in Städten, die man unsichtbar nennen möchte. All das kann hier, in diesem Teil der Geschichte, nur Vorwort sein, ein wortloser Hinweis ein, ein hinweisendes Für-wort. Fürsprechen. Es gilt, bestimmte Funktionen anzuwenden. Das kann ich ohne jede Spur von Ungehorsam erledigen und der Raum des Zuhörens bleibt offen. Dann lassen andere Stimmen l andere Welten sichtbar werden.
Es ist nicht meine Textur, die all diesem voransteht und auf die ich endlich antworte, mit meinen eigenen Wörtern und Zeilen; es war die ihre, die Botschaft, die sie übermitteln musste. Nun ist es auch meine Textur. Mit ihrer unorthodoxen Präzision abgefasst habe ich sie viele Male auf der schallgedämpften Tastatur mit ihren tapsenden, pickenden Vogelgeräuschen abgetippt. Ich schreibe sie jetzt nochmals mit der Hand:
Wir Geretteten bitten Euch zeigt uns langsam Euer Licht und führt uns von Stern zu Stern im Schritt langsam lasst uns wieder leben lernen. Für einer Gemeinschaft beweglicher Zugehörigkeit.
Sabina Holzer, April 2017 (Frei nach China Miéville, Dieser Volkszähler, Berlin, Liebeskind, 2017)
sub/s/tanzen. Foto: Sabina Holzer, 2017