Prolog zum Vortrag von Michael Hirsch am 14.Juni bei Soho in Ottakring verfasst und gelesen von Sabina Holzer und Kilian Jörg.
Was wäre das utopische Potential in unserem Leben, das als Modell scheinen könnte. Hier, in diesem Wohlstands-Prekariat. A really existing utopia produced under terrible conditions. Könnte es das sein? (Home, I guess this must be the place.) Ein Modell, das heisst selbstreflexiv, in dem Sinn von einer genauen Betrachtung: was funktioniert gut und was nicht. Was ist gewollt, was nicht. Und in dem: Was ist das Selbstverständnis von uns als Künstlerinnen, als Kulturarbeiterinnen, als Theoretikerinnen, als Intellektuelle. Müssen wir uns einigen auf ein Selbstverständnis? Das selbstverständliche Selbst. Die Funktion der Funktionslosigkeit2: Kunst. Kulturarbeiterinnen, in der Analyse und Aufarbeitung, Thematisierung, Öffnung von gesellschaftlichen Strukturen. Erst gestern dachte ich, vielleicht bin ich eine Kulturarbeiterin geworden. Beinahe hat mich der Gedanke erleichtert. Beinah mir mein Arbeiten mir selbst wieder nahe gebracht. Das Schreiben, das Begleiten von jungen Kolleginnen, das Behandeln, das Tanzen mit Menschen mit Downsyndrom, die Vorbereitung von Stoffwechsel, das Performen (schnell bei der Buchpräsentation). Dieser Austausch. Diese Liebe. Dieses Leben. Diese Arbeiten, die ich schätze, die mich in die Vielfalt der Welt führen. Vielfalt und Diversität als marxistische Maxime, als feministische Forderung. Als Denken, dass ohne Praxis nicht möglich ist. Als Möglichkeit von unterschiedlichen Leben und somit Lebensformen und somit Arbeit und Arbeitsformen. Expertise und Professionalität als männlich, weißes Gehabe. Neben dem nichts existieren soll. Neben dem alles andere unerwähnt bleibt. Steht er noch, der Phallus? (Vernunft ist cool).
Wie geht's, wie steht’s? Steh-auf-Männchen? Was, wenn du umfällst? Das Fallen ist ja eine wesentliche Tätigkeit der menschlichen Existenz. Willst du kämpfen, musst du wissen, wie du fallen kannst. Für alle Fortbewegungen… walking and falling at the same time...3 Ohne Fallen kein Fliegen. Das Fallen ist ein Fall für den Phallus, würde ich sagen. Weich und schmiegsam wäre er dann. Wie die Frauen. Die ja auch schmiegsamen Schmeichelkatzen sein sollen, wie manche behaupten. Manchmal natürlich auch wild. Wildkatzen (sozusagen). Die lieben so einen weichen Schmeichelphallus besonders. Vor allem wenn sie den Haushalt machen. Die wilden Katzenfrauen sind dann ganz haltlos. Im Haushalt. Richtig losgelassen. Deswegen haben sich die Männer solange nicht getraut, ihn zu übernehmen. Denn dann würden sie womöglich den Halt verlieren. Haltlosen Männern wären dann kein Einhalt zu bieten im Haushalt. Jetzt mal ehrlich und unter uns: Wann ist ein Mann ein Mann?4 Wenn er sich traut den Haushalt zu machen. Oder die Verwaltung, die Buchhaltung. Alles klar. Und deiner? Was macht der? Schalten und walten? Für diese männliche, weiße Expertise. Unsichtbar quasi, versteckt hinterm Zuckerberg regeln sie den Abbau von seltenen Erden und tun so als würde das alles nicht existieren. Als wäre das natürlich. Die natürlichste Sache der Welt. Als ginge es gar nicht anders. Wo sind sie die Erinnyen? Die Hüterinnen des Geistes. Die Rächerinnen. Töchter von Gaia. Hut ab vor ihnen würd’ ich mal sagen. Respekt. Sie fordern, dass all das kommuniziert wird. Mit kommuniziert. Weil das Private politisch ist. Immer noch. Produktionsbedingungen sollen sichtbar gemacht werden. Nicht nur die Produktion des Selbst. Arbeitsbedingungen und Einkommen sind hier gemeint. Als solidarische Geste, das wäre doch vernünftig. Als Möglichkeit darüber zu sprechen. Ohne Scham.
Weil der Prozess das Produkt bedingt. Durchdringt. Immer. Auch in der Kunst. Mit der Kunst ist es ja überhaupt schwer sich auszukennen. Muss ich mich auskennen mit der Kunst? Was ist das eigentlich? Ist das Kunst oder kann das weg? Oder ist Kunst die Chance uns von dem Unbegreiflichen, vor dem wir uns sonst fürchten, berühren zu lassen? Kunst ist der Luxus, den wir uns leisten wollen in unserer Welt. Das Chaos, auf das wir bestehen wollen. Das Spiel dessen Regeln immer wieder neu sind. Nimm mich, Kunst. Jetzt und ganz. Durchdring’ mich. Jetzt und ganz. Komm zu mir, Kunst. Ganz. Wer bist du? Was bist Du? Wesen, Ware, Wunde. Kunst. Ohne Wunde keine Wunder. Wunder entstehen durch die Öffnung. Nicht weg drängen, die Erfahrung.
Weil man die ästhetische Erfahrung durchaus als die eines zweifach abgetrennten Sinnlichen bezeichnen kann. Abgetrennt vom Gesetz des Verstehens, dass die sinnliche Wahrnehmung seinen Kategorien unterwirft, und vom Gesetz des Begehrens, das unsere Affektionen der Suche nach dem Guten unterwirft. Die durch das ästhetische Urteil aufgegriffene Form ist weder diejenige eines Erkenntnisobjekts, noch diejenige eines Objekts des Begehrens.5 Verstehen und Kunst sind also unterschiedliche Kategorien. Auch das Soziale und die Kunst sind unterschiedliche Kategorien. Wir wollen nicht, dass uns die Kunst die Welt erklärt. Was wollen wir? Ein gutes Leben! Und spricht hier jetzt das Leben, die Kunst, das Wir oder das Ich oder labbert immer noch der Phallus? Wo murmeln die Muschis? Und hört überhaupt noch jemand zu?
Ach ja, das Modell. Dafür brauchen wir ja weder Phallus noch Muschis. Da können wir einfach gemeinsam Denken, uns etwas Ausdenken. Aushecken. Einen situationistschen6, subnationalen Garten, der Wald wird. Eine temporäre autonome Zone.7
Wie kommunizieren wir das Modell nach außen, überzeugen mehr von ihm, wo wir doch als Eigendefinition und Projekt und Stolz nicht überzeugt sein wollen - nicht fest, nicht hart, nicht klar … wie die Anderen, die Normalen, die wir überzeugen wollen. Schwach-sein als inhärent dem Links-sein. Vieles nicht sehen, nicht hören, nicht an sich herankommen lassen - erste Klugheit, erster Beweis dafür, das man kein Zufall, sondern eine Nezessität ist.
Ist das normal? Jeder sonst muss damit klar kommen, ob eingeigelt oder nicht, aber mach du halt kunst, sei du halt schwul, aber der rest: zurück auf die Linie - Das ist nur Kunst, du Opfa, das kann weg - weg aus der Normalität - nur ja nicht rein, die verteidigen wir - und müssen wir auch immer mehr Konzessionen an das Andere geben - letztendlich geht es immer noch um WERTSCHÄTZUNG - wollt ihr die - ja nein danke - haben wir die noch? Will ich geschätzt werden? Und von wem? Wer ist autoritärer Schätzer und wer zur Schätzung autorisiert? Von wem? Wo ist das symbolische Kapital8, dass mein scheinbares Leben rettet? Schätzt du mich als normal ein? I feel numb, born with a weak heart, i guess i must be having fun (naive melody) Gibt es das Überzeug, das dich überzeugt? Geh Schatzi ich weiß doch eh, dass ich bei dir auf der Saf steh’. Die Utopie, die nicht nur im realen Leben, genau hier, in all der Scheiße, aufleuchtet, sondern alles runterspülen kann? Die die Normalität ins Gute überträgt - wohin spült es uns - die Dystopien spielen meistens im dunklen Kanalsystem, bei schlechtem Wetter, Gewittersturm, dunkler Turm. Was aber wenn die Sonne scheint, so wie heute und gestern und vorgestern? exactly where you are - Ist sie das Überzeug? Selbst-angestellt am Firmament, jeden Tag von neuen, am Arbeitsamt und Horizont, sie kann uns erhellen - und sie wird immer größer, ein roter Riese, dann kleiner Zwerg, und wird irgendwann selbst den Kriegsgott verschlingen, wo alles rot ist, rot wie im Kommunismus, in der Liebe und wann immer ich die Augen verschließe vorm Sonnenlicht.
„Paradise is happening now, only much better." ist die erste Zeile von Laurie Anderson’s Language is a Virus
2vgl. Stefan Deines: Über die Funktionen der Kunst und die Relevanz der Kunstphilosophie
3Laurie Anderson: Walking and Falling
4Herbert Grönemeyer Männer
5Ranciere Jaques, Aufteilung des Sinnlichen - Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien, b-books; 2006
6 Situationsitische Internationale
8...„Der Druck Neues zu produzieren ist zu groß. Das betrifft alle gesellschaftlichen Schichten. Eine wesentliche Analyse vom Marxismus ist: der Kapitalismus generiert eine permanente Überproduktion, wodurch eine Entwertung der Arbeit und Arbeitskräfte aktiviert wird. Wieder: ein generelles Problem, nicht nur die Künstlerinnen betreffend." ... Sabina Holzers Mitschrift von Michael Hirschs Vortrag im_flieger / Depot April 2018, Wien