Hier öffnet sich ein Raum, der nicht leicht zu öffnen ist und in seiner Fragilität eine große Hoffnung und sanfte Kraft birgt.
Wir sind hier. Hier sind sechs Leute, die sehr unterschiedlich sind und unterschiedliche Sachen machen. In ihrer Unterschiedlichkeit sind sie sich auch sehr ähnlich: sie sind alle Künstler_Innen, weiß, österreichisch, Teil der Mehrheitsbevölkerung, links, gut etabliert in den ihrigen Wiener Szenen und Netzen und haben einen Drang zur Offenheit und zum Austausch. Wir mögen sie sehr, sind angetan von ihrem Labor, das sie als Teil des zweijährigen Stoffwechsel – Ökologien der Zusammenarbeit-Projekts leben. Hier öffnet sich ein Raum, der nicht leicht zu öffnen ist und in seiner Fragilität eine große Hoffnung und sanfte Kraft birgt. Insbesondere lässt er sich nicht leicht beschreiben, da er sich um den Versuch einer Lösung von präexistenten Kategorisierungen handelt und man sehr sehr vorsichtig vorgehen muss, um durch das Schreiben – der ultimativen und fundamentalen Kategorisierungsmaschine – diese fragile Öffnung nicht zu verletzen.
»Was ist das hier?«
Die meisten hier stammen aus dem Bereich der Performance und des Tanzes. Einen Zugang zum Stoffwechsel finden sie von sehr verschiedenen Seiten, so taucht einerseits die Vergangenheit auf: Alfred baut vollautomatisierte Instrumente in Mamas Haus in der Steiermark; Anita möchte ihre Gerümpelkammer ausräumen und da sie seit langem damit nicht vorankommt, erklärt sie es zum künstlerischen Projekt, in der Hoffnung, dadurch ihre Ohnmacht zu überlisten, diese und die mit ihr verbundenen Erinnerungen zu erforschen. Oder es geht hin zu einer Öffnung ins Soziale: Brigitte bemüht sich um eine europäische Geste, die jenseits von konservativen Bewegungen, Identität und Offenheit zusammenbringen kann. Claudia möchte in Flüchtlingsheimen warten, um so den engen Terminschemen einer Arbeitsbeziehung zu entkommen und einen weniger instrumentellen Zugang zu neuen wie alten Mitmenschen zu gewinnen – um dem Warten nachzufühlen, nimmt sie sich den Benjamin’schen Flaneur als Inspirationsquelle. Sabina und TE-R versuchen sich in nicht erschlossenen Leer- und Zwischenräumen aufzuhalten und dabei hinter gängige Strukturen zu schauen. Während Sabina sich mit der sprachlichen und körperlichen Verfasstheit des Denkens auseinandersetzt und die Grenzen logozentrischen Verstehens auslotet; geht es TE-R darum, die Richtung ihrer Arbeit bewusst offen zu halten – Ausgangspunkte sind die unerklärliche Performativität ihres Freundes und die Kommunikation des Virus, der aus der Leere, dem Off in Kontakt tritt.
In fünf Tagen haben wir jeweils drei Stunden über die einzelnen Projekte gelernt und diskutiert. Wir sprachen über Maschinenbegriffe und Neuroscience, Flüchtlingsströme und Langeweile, Splittercore, Peyote und youtube-Videos, in denen Leute sterben. Die Vielfalt der in den Raum geworfenen Ideen riss uns mit – hinein in Überlegungen, die von abgesicherten wissenschaftlichen Konzepten, bis zu hin zu ganz persönlichen, an MDMA oder Psychoanalyse erinnernden Öffnungen reichten und überraschende Verbindungen zwischen ihnen in den luftigen Raum am Gaudenzdorfergürtel mit nicht-mehr Blick auf Wiens Hausberge entstehen ließ.
Im Laufe der Woche hat sich die Frage nach unserer Rolle in diesem Projekt gestellt, die wir vorläufig mit Inhalte spiegeln, genauer einhaken, Anti-Chamäleon1-sein abgesteckt haben. Über das Verhältnis zwischen individuellen Werken und kollektiven (Austausch-)Geschehen waren die Teilnehmenden sich auf Nachfrage selbst noch nicht gewiss: An Autorenschaft wird vorerst festgehalten – wie wir vermuten auch aus ökonomischen Gründen, die einem selbst in einem dezidiert auf Schaffensfreiheit ausgelegten Stoffwechsel die Notwendigkeit auferlegen, an eine Selbstpräsentation im Danach (für Anträge etc.) zu denken. Es handelt sich also um individuelle Projekte, die als fertig vorgefasste Entitäten in Austausch treten. So der Stand nach dem ersten Labor, der sich wohl über die nächsten zwei Jahre weiterentwickeln wird, besteht hier doch ein produktives Spannungsfeld, in dessen Verwerfungslinien interessante Vermengungen geschehen werden.
Förderungsarchitektonisch ist dieses Projekt auf jedenfall klug entworfen, um dieses Spannungsfeld erst sicht- und nutzbar zu machen. Dies ist auch dem zu verdanken, dass es sich bei den leitenden Kräften um etablierte Hasen im Wiener Kulturbetrieb handelt. Diese Arriviertheit nutzen sie bewusst, um innerhalb des Systems Freiräume zu schaffen, die Abseits des stetigen Produktionszwanges stehen. Ein Privileg – sicherlich, aber eines dass sie umsichtig nutzen.
Wir wurden als Kollektiv eingeladen, hierüber zu reflektieren - das Ganze mit einem schreiberischen Prozess zu begleiten, der nicht unbedingt über sondern mit dem Projekt schreibt. Hierbei sind wir in Formwahl gänzlich frei und spätestens jetzt drängt sich die Frage auf, ob wir nicht viel zu konventionelle Bahnen verfolgen mit diesem Text?
Hier ist etwas am entstehen. Es entsteht in einem Zwischenraum, einem Versuch Zeit zu haben für eine Forschung, einen Austausch, eine Suche, die auch scheitern kann. Nicht das Ergebnis ist das Ziel: kein Festival sondern eine Werkstatt, eine Werkschau im Prozess.
Auf uns ist ein Reiz übergegangen. Wir haben eine Welle aufgeschnappt und der Text bleibt ein darin wirbelndes Staubkorn. »Es ist möglich und notwendig, alle diese Vielheiten auf ein und demselben Konsistenz- oder Äußerlichkeitsplan flachzudrücken, welche Dimensionen sie auch immer haben mögen. Das Ideal eines Buches wäre alles, auf einem solchen Plan der Äußerlichkeit auszubreiten, auf einer einzigen Seite, auf ein und demselben Strand: gelebte Ereignisse, historische Bestimmungen, Gedankengebäude, Individuen, Gruppen und soziale Formationen.«2
Es bleibt die Gefahr einen Schulaufsatz über das Meer zu schreiben. Wir tasten uns heran, was es bedeuten kann hierin – hierüber – hiermit zu schreiben und legen als Basis diesen konventionellen Bericht vor, der auch Merkzettel sein soll. Basis für experimentellere Vorhaben, Merkzettel, sich der Gefahren der bloßen Beschreibung bewusst zu bleiben.
Yasmin Ritschl, Kilian Jörg
1 Jörg, Kilian / Schulz, Jorinde: Das Anti-Chamäleon – Eine Methodenschrift. In: engagée #2: Ekstase, Wien 2015.
2 S.15 Deleuze, Gilles / Guattari, Félix: Rhizom. Merve Verlag: Berlin 1977.