Aphorismen

Sat., April 23 2016
3:03 am

Reflexionen aus dem Stoffwechsel mit Martina Ruhsam

siehe auch

Labor »Verwicklungen«

1. Zum Stoffwechsel: Im Labor – in diesem Fall das von Martina Ruhsam – geschieht eine stetige Wiederholung gleicher Fragestellungen der Teilnehmenden: Sabina beispielsweise stellt Fragen über Sprachlichkeit, Brigitte „wickelt sich unter Tische“ (Zitat von ihr) und Alfred raucht und musiziert. Wie schon früher gesagt, ist die vorläufige Arbeitsweise jene der Kollision von vorgefassten individuellen (dividuellen1) Projekten. Eben keine Intraaktion, wie uns Martina dieses Konzept Karen Barads vorgestellt hat2 (Akteure - also Entitäten wie Menschen, Ideen, Handlungen, Theoreme - entstehen erst durch ein gemeinsames Ereignis), sondern eine Interaktion (im Vorhinein definierte Objekte/Subjekte treten dann in Austausch miteinander).
Doch scheint die Intraaktion als Ideal in unseren Köpfen zu schweben, das - so die Erwartung - in der langen Juliwerkstatt (10.-24.) aufgehen soll.
Sie ist vielleicht nicht so sehr das offensichtliche Geschehen und sein »Ergebnis« innerhalb des Labors, als die Menge an subtilen Anstößen, die wir schon während des Projekts in uns tragen, die wir mit nach Hause nehmen und die »uns« langsam und unterschwellig umbauen.

2. Wo lokalisieren?: Kate McIntosh's „Worktable“ - eine Installation/Choreographie -  bringt uns zum Denken: sie setzt sich mit dem Verhältnis von nicht-menschlichen Objekten und uns auseinander; Wir zerlegen Gegenstände und bauen sie als Mutanten wieder zusammen. Lokalisiert war dieses Werk im Wiener Brut. Durch die Wahl des Ortes ergab sich - so analysierten wir - die Problematik, dass die Gegenstände sofort zu Kunstobjekten und die Handlungen zu Performancekunst wurden. Es stellt sich die Frage: Wäre diese Arbeit nicht viel effektiver gewesen, stünde sie auf einem Sperrmüllplatz, einem Flohmarkt oder einer Bar? In dem gewählten Setting begehen die üblichen Verdächtigen Kunst als Freizeitgestaltung und beinahe alles Potential wird von »Kultur« in das sich selbst nährende Vakuum aus Reflexion, Geltungsbedürfnis und ökonomischer Dringlichkeit der Kunstblase gesaugt.
Über dem Stoffwechselprojekt schwebt fast naturgemäß dasselbe Problem, wir sind uns dessen aber bewusst (siehe die förderungsarchitektonische Konstruktion, »um innerhalb des Systems Freiräume zu schaffen, die Abseits des stetigen Produktionszwanges stehen«).

3. Terminologiefrage: Wollen wir der Objekt-Subjekt-Dichotomie mit ihrem schweren cartesianischem Erbe absagen oder finden wir in ihr doch zu genüge emanzipatorisches Potential („Alle Objekte sollen Subjekte werden!“ o.Ä.), um sie beizubehalten3? Was wären Ersatzbegriffe zu Objekt? Zu Subjekt?
Wie wäre es mit Körpern? Sind diese zu klar an eine abgegrenzte Stofflichkeit gebunden? Ist wiederum Material ein zu abwertend klingender Begriff? Wie fühlt es sich an, sich als Objekt zu denken? Sind wir eigentlich alle Eso? – (bis auf Brigitte – Alfred kompensiert sein Nicht-Eso-Sein mit Buntheit) Und wie wäre es (Vorschlag von Kilian) wenn wir uns alle und alles als Materie verstehen?

4. Dilemma der Performance: Performance leidet an einem Handlungszwang und will häufig Philosophie enacten, wo es vielleicht gar nicht so viel zu enacten gibt – Man glaubt demnach, dass man jeweilige Philosophien neu umsetzen muss, obwohl es sich vielleicht nur um eine veränderte Betrachtungsweise des schon Gegebenen dreht. Um die anhand von Karen Barad's Intraaktion zu illustrieren: Sie will keine revolutionär neue Form beschreiben, die erst umgesetzt werden muss, sondern eine andere Wahrnehmung des schon Gegebenen vorschlagen – einen Paradigmenwechsel im Genre der kopernikanischen Wende4.
Nicht zufällig haben Börsenkurse eine »Performance«.
Es bleibt die Frage, ob ein erstes Gebot der Performierbarkeit uns manchmal die Geduld und Ruhe verstellt, die Spannweite eines philosophischen Konzepts zu erfassen.

5. Problemfeld Transformation der Dinge vs. soziale Konventionen: immer wieder kommt es zu dem Versuch, mit Dingen in Stoffwechsel zu treten. Wir wollen die Dinge durchdringen, die Hierarchie zwischen uns und ihnen auflösen und zu einer subjekt-objekt-sprengenden Transformation führen. Die Revolution soll mit diesem Toaster hier, oder jenen alten Spagetti passieren. Aber tut sich genau durch diese große Erwartungshaltung nicht die Gefahr auf, die Dinge dabei doch nur wieder als statische Objekte vorrauszusetzen - denn vergessen wir nicht, die Transformation zwischen uns und ihnen ist alltäglich: wie die Sonne, die unsere Haut bräunt, der Basilikum, der unschuldig am Fenster gedeiht und unser Frühstückstoast. Und auch ganz unabhängig von »uns«, sind sie permanent im Prozess der Transformation. (Alles ist und wir sind Materie.)
In der Erwartung und dem Versuch der GROßEN Intraaktion, vermeinen wir von den sozialen Konventionen behindert zu sein (ich kann jetzt doch nicht Claudias alten Koffer zerstören oder die Gitarre von Jack verstimmen) und wollen deshalb die REVOLUTION, DIE TOTALE VERW/MISCHUNG UND UNKENNTLICHMACHUNG.
Was für eine Erwartung liegt hinter diesen großen Revolutionen, die wir in den versuchten Orgien mit den Dingen zu finden suchen? Überrumpeln wir mit dieser GROßEN Erwartung nicht gerade die gesuchten Transformationen (die klein und subtil sind) und re-kreieren dadurch in uns erst das Bedürfnis, nach DER Intraaktion? Übersehen wir nicht in dem künstlich geschaffenem Zusammenspiel das anwesende Zusammenspiel und schaffen so wiederholt dieselbe Distanz zwischen uns und den »Dingen«? Gefangen von den sozialen Konventionen, genau weil wir meinen, ihnen gänzlich entkommen zu müssen?

6. Reflexion: Die aphoristische Nachbearbeitung von Erlebnissen muss vielleicht immer hinterher hinken. Vielleicht ist das aber auch ein Vorbehalt, der uns durch ein antrainiertes Distanzhalten Ist textuelle Produktion ohne Distanz möglich? [Kann man Derridas différrance abschaffen?]
Und wieso verführen philosophische Wortspielereien die Kunstwelt so leicht?

 

Yasmin Ritschl, Kilian Jörg

1 Raunig, Gerald: Dividuum - maschinischer Kapitalismus und molekulare Revolution Band 1. transversal texts: Wien, Linz, Berlin, London, Zürich 2015. (Download)

2 für genaueres siehe: Barad, Karen: Meeting the Universe Halfway - Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Duke University Press 2007. (Das Konzept der Intraaktion ist für die Zwecke dieses Texts bewusst abgeflacht.)

3 Zur Erinnerung: Der deleuze/guattari'sche Ansatz wäre der folgende: “Nein, kein anderer oder neuer Dualismus. Ein Problem der Schrift: man braucht anexakte Ausdrücke um etwas exakt zu bezeichnen. Und zwar keineswegs, weil man da hindurch müßte, weil man nur durch Annäherung weiterkäme: die Anexaktheit ist eben keine Annäherung, sondern im Gegenteil genau die Durchgangsstelle dessen, was im Werden ist. Wir ziehen den einen Dualismus nur heran, um den anderen zu verwerfen. Wir benutzen den Dualismus von Modellen nur, um zu einem Prozeß zu gelangen, in dem jedes Modell verworfen wird. Wir brauchen immer geistige Korrektoren, die die Dualismen auflösen, die wir im Übrigen nicht festlegen wollten, durch die wir nur hindurchgehen. Um zu der Zauberformel zu kommen, die wir alle suchen: Pluralismus = Monismus, und dabei durch alle Dualismen hindurchzugehen, die der Feind sind, aber ein unbedingt notwendiger Feind, das Mobilar, das wir immer wieder verschieben.” S. 35 aus Deleuze, Gilles und Guattari, Félix: Tausend Plateaus. Merve Verlag: Berlin 1992.

4 "Wittgenstein once asked a friend, 'Tell me, why do people always say it was natural for man to assume that the Sun went around the Earth rather than that the Earth was rotating?' His friend replied, 'Well, obviously, because it just looks as though the Sun is going round the Earth.' To which Wittgenstein responded, 'Well, what would it have looked like if it had looked as though the Earth was rotating?'" - zitiert von hier und wunderbar illustriert in Derek Jarman's Film Wittgenstein (1989), nachzusehen hier.