Die Generationenfrage oder warum provozieren wir eigentlich?

Di., 14. Juni 2016
9:00 Uhr

In den Verwerfungen, die unsere Reflexionen unerwarteter Weise ergeben haben, sind wir auf einen möglichen Generationengraben gestoßen.

In den Verwerfungen, die unsere Reflexionen unerwarteter Weise ergeben haben, sind wir – auch in gemeinsamer Runde – auf einen möglichen Generationengraben gestoßen. Generation soll hier ein loser Begriff bleiben, sie sind untereinander natürlich nicht klar voneinander abzugrenzen und es tummeln sich in uns allen verschiedenste Schichten. Dem Kategorisieren der Sprache ist eine Gewalt inhärent, mit der wir bewusst umgehen, aber aufgrund den uns vorerst unumgehlich erscheinenden Mechanismen der Sprache auch umgehen müssen1. Man kann meinen, wir sind in einer post-deleuzianischen, post-internet, post-xxx Generation groß geworden, in der die inflationären Wörter sich für uns nicht mehr verabsolutieren lassen, auch wenn sie es zu verlangen schienen. Wir schreiben Gedanken auf einen blog, ohne dabei zu denken, dass diese anecken, provozieren, oder gar gelesen werden. Like und weiter und so.
Der Gedanke an eine mögliche Generationenfrage ist uns schon öfter untergekommen. Wo Performances (Think feminist, act sexist2 von Jakob Kraner und Matthias Vieider) und Texte (Das Anti-Chamäleon von Jorinde Schulz und Kilian Jörg) uns wie eine pointierte Darstellung von zweischneidigen Schwertern erschienen, treiben sie ältere Semester auf eine Palme von Unverständnis. Die Reaktionen einer älteren Theoretikerin bei unserem Textrelease in Berlin überraschten uns ungemein: eigentlich empfanden wir uns von unseren theoretischen Anliegen auf gleicher Ebene, unsere lockerere Sprache provozierte allerdings ungemein.

Ein solches Anecken ist jedoch erstaunlicher Weise nie die Intention – im Gegensatz zu früheren Generationen, die bewusst den Älteren vor den Kopf stießen, sehen wir weder das Bedürfnis noch den Raum für eine solche Konfrontation. Wir meinen, da sei ein guter Weg, der uns geebnet ist und es ist an uns ihn weiter zu führen. Man nennt uns unter anderem deshalb Generation Y und stuft uns als die angepassteste, unpolitischste Generation seit langem ein  – Man denke bloß an die Kommentare, die sagen, uns interessiert nichts mehr, als das konstante Vibrieren unserer Smartphones. (wir (Yasmin und Kilian) haben übrigens keine Smartphones, wobei Yasmin durch ihren Vater bald durch eins beglückt wird.)

Insofern überrascht es uns, wenn wir uns auf den als platt getreten angenommenen Wegen bewegen und dabei provozieren. Sind wir so verpeilt, dass wir gar nicht merken, was wir tun? Was haben wir übersehen, überrochen, überhört, überspürt? Wir zielen nicht darauf ab weh zu tun. Sind wir auf eine Art politisch, ohne es selbst zu bemerken, weil wir das Label des Unpolitschen so oft geschluckt haben? Worum handelt es sich bei diesen Wegen, auf denen wir alltäglich joggen gehen? Sind es ihre Lebenswerke? Spielen wir mit dem, wofür sie gekämpft haben? Fehlt uns der Ernst? Sind wir Kleinkinder, die an einem Monet rummalen wollen? (Aber wer will das eigentlich nicht?) Sind wir doch gar nicht so langweilig, wie wir von uns selbst angenommen haben?

Hier hat sich ein Forschungsfeld aufgetan, mit dem wir uns beschäftigen, in Interviews und Gesprächen unsere Hypothesen prüfen, verwerfen oder erweitern wollen.
Ansatzpunkte:
1)    Der Diskurs ist roher geworden. Meinungsforschung statt Intellektuellen Debatten, Fußballmoderation an Wahlabenden, oida statt Deleuze. Die Rechte darf sagen, was früher unsagbar war. Man darf das doch mal sagen. Wir stehen auf Gangsterästhetik. Fick dich du Hure. Dollar Dollar Punkt. Pferdchensmiley. Rainbow.  
Was macht das mit uns?
2)    Die Babyboomer-Wohlstandsblase geht zu Ende.
3)    Wie steht es um einen Wandel der Geschlechterrollen und wie geht der beschworene Backlash mit Frauen um, die Männer im Namen der Gleichberechtigung objektivieren? Sind weibliche Burschenschaften die Lösung?
4)    Ist der Boden/das Dach, um dessen Dichte sie sich immer noch sorgen, oder sich ihrer wiederholt versichern müssen, für uns schon zu Stein geworden? (Kann man uns hier eine Fahrlässigkeit unterstellen?)
5)    Hat für uns Text nicht mehr Wert als Gesprochenes? Ist das bedingt durch eine schon immer währende elektronische Flut, die Zeichen so schnell wie Laute vorbeiziehen lässt? (Gibt es dann nicht unter uns viele Romantiker, die der Schrift gerne wieder Bedeutung zuschreiben würden?)
6)    Sehen die sich so wie wir als eh in einem Kreis, der prinzipiell d’accord ist an?

Kilian Jörg / Yasmin Ritschl

1So bauen wir in diesem Text eine Dichotomie zwischen „wir“ und „die“, um einer Annäherung Willen. – Auch diesen Satz schreiben wir aus Vorsicht, ist das nun im Kontext der Generationenfrage eine Projektion unsererseits oder wichtiger Zusatz zum gegenseitigen Verständnis?

2 Performance bei Philosophy Unbound #2 und #4, in gekürzter Textfassung hier veröffentlicht.